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Benedict Neff
Bonn
Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der Eröffnung der internationalen Landwirtschaftsmesse Grüne Woche im Januar 2019 in Berlin. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der Eröffnung der internationalen Landwirtschaftsmesse Grüne Woche im Januar 2019 in Berlin. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)

Julia Klöckner galt einmal als grosses politisches Versprechen in der CDU. Im Grunde erlebte sie den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere 2010 und 2011, als sie in Rheinland-Pfalz die Führung der Partei übernahm und als Ministerpräsidentin kandidierte. Sie trat gegen Kurt Beck an, einen Politiker von eher massiger Statur, der Bart trägt und sich eine Zeitlang eine Vokuhilafrisur leistete – der Mann war schon seit 1994 im Amt, eine gefühlte Ewigkeit also. Klöckner verkündete damals fröhlich: «Ich stehe für eine Politik ohne Bart.» Die Medien nahmen das Bild auf. «Blond gegen Bart», betitelte «Der Spiegel» das politische Duell. In jener Zeit erschienen in allen grossen deutschen Medien Porträts über Julia Klöckner mit bemerkenswerten Titeln – einige davon würden heute die Endredaktion wohl nicht mehr überstehen: «An den Beinen sollt ihr sie erkennen» («FAZ»), «Muttis Schönste» (Deutsche Welle), «Julia Klöckner – blonde Hoffnung» («Cicero»).

Bei Klöckner ging es von allem Anfang an um die Oberflächenstruktur. Daran hat sich wenig geändert, auch wenn die Berichte über sie mittlerweile viel kritischer geworden sind. Im «Spiegel» wurde sie zur «Helene Fischer der deutschen Politik» gemacht – «gnadenlos volksnah, dabei aber doch so diszipliniert, dass sie in eng geschnittene Hosenanzüge passt». Diese Entwicklung hat natürlich auch mit ihrer politischen Karriere zu tun. Die Hoffnungen, die anfangs auf ihr ruhten, konnte sie nicht erfüllen. Die Wahl gegen den Bartträger Beck hat sie 2011 verloren. Fünf Jahre später sah sie sich mit dessen Nachfolgerin, Malu Dreyer, konfrontiert – der Bart-Wahlkampf war endgültig verloren. Die SPD ist in Rheinland-Pfalz bis heute an der Macht geblieben. Im März, vor einem Jahr, wurde Klöckner in Berlin Landwirtschaftsministerin. Vor kurzem kürte sie «Der Spiegel» zur «Miss Ernte».
Das Schicksal einer Weinkönigin

Die Betonung ihrer Erscheinung hat etwas Penetrantes, das sich durch Klöckners ganze politische Karriere zieht. Das gehört zum einen wohl zum Schicksal einer ehemaligen Deutschen Weinkönigin – den Titel holte sie 1995. Zum anderen hat Klöckner dies auch selbst gefördert. Wer Slogans wie «Politik ohne Bart» herausgibt, lenkt den Fokus auf Äusserlichkeiten. «Über das Aussehen von Frauen zu berichten, ist wenig phantasievoll», sagt Klöckner in einem Besprechungszimmer im Landwirtschaftsministerium in Bonn. «Es ist oft ein Stilmittel, um eine gewisse Schlichtheit zu unterstellen. Aber bitte, wer es nötig hat.» Die Nachsätze sind bei ihr manchmal interessanter als die Hauptsätze. Auf Coolness folgt schnell ein Anflug von Gekränktsein.

Das Gespräch dauert eine Stunde. Klöckner trinkt Tee, ein Mitarbeiter sitzt daneben und macht Notizen. Warum sind ihre zwei Kandidaturen 2011 und 2016 als Ministerpräsidentin gescheitert? «Weil wir nicht die Mehrheit der Stimmen hatten.» Beim ersten Mal habe der Nuklearunfall in Fukushima nicht geholfen, beim zweiten Mal habe ihr die Flüchtlingskrise geschadet. Es lag offenbar immer an äusseren Umständen. Ob sie noch einmal antritt? «Das beantworten wir als CDU Rheinland-Pfalz zur rechten Zeit.»

Die Robustheit vom Lande

Nach ihrer Herkunft gefragt, verweist sie als Erstes auf ihr Interviewbuch «Zutrauen!» von 2015, da stehe eigentlich alles drin. Auf dem Klappentext heisst es: «Früher eine Seiteneinsteigerin, heute eine Hoffnungsträgerin – und morgen?» Alles soll möglich erscheinen. Aber ist es das noch? Bei der Nachfolge von Angela Merkel als CDU-Chefin spielte Klöckner keine Rolle. Wenn sie es nicht schafft, dereinst Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zu werden, wird sie in der Bundespolitik kaum über die Landwirtschaft hinauskommen.

Klöckner redet schliesslich doch nicht ungern über ihre Herkunft. Ihr Vater sage, 1972 sei zwar kein guter Weinjahrgang, aber ein guter Jahrgang für Töchter. Ihre Eltern führten ein Weingut in Guldental, einem Dorf mit 2600 Einwohnern in Rheinland-Pfalz. Traktor- und Mofafahren seien für sie da selbstverständlich gewesen. Man werde sozusagen geländegängig und robust, sagt Klöckner und mutmasst: «Ich glaube, das ist auch ein Grund für eine geringe Allergiefähigkeit.»

Es muss eine heitere Kindheit und Jugend gewesen sein. Freunde kommen gern zu Besuch auf den Hof, erst wegen der Tiere, später wegen des Weinkellers. Klöckner ist Lektorin in der Kirche, Messdienerin darf sie als Mädchen nicht werden. Eine Busfahrt nach Kroatien in die Heimat des Ortspfarrers ist ein Highlight. Heute führe ihr älterer Bruder den Hof, aber für sie sei er nach wie vor ein Stück Heimat. «Wenn ich da bin, spielt es keine Rolle, dass ich Ministerin bin. Ich bin einfach die Julia und packe mit an.»

Ein Blick in die Welt hinaus

Klöckner studiert Politikwissenschaften, Theologie und Pädagogik, nebenbei gibt sie Religionsunterricht. Erst wollte sie Gymnasiallehrerin werden, aber dann habe sie gemerkt, dass die Schüler so an einem vorbeizögen, während man selbst an Ort und Stelle bleibe. Klöckner will mehr. Sie wird Redakteurin bei einer Wein-Zeitschrift, später deren Chefredaktorin. Als solche sei sie viel gereist und habe Weinbaugebiete auf der ganzen Welt gesehen. Was erwartete sie damals vom Leben? «Ich wollte weg und raus», sagt sie. «Gleichzeitig wollte ich die Sicherheit, dass in Guldental alles bleibt, wie es ist.» Unabhängigkeit sei ihr stets wichtig gewesen. Geheiratet hat sie nicht.

Mit 25 Jahren tritt Klöckner der Jungen Union bei, unter anderem, weil sie deren Grillfeste «klasse» findet. Beim Einstieg in die Partei spielt die Geselligkeit wohl eine grössere Rolle als die Politik. Noch heute wirkt sie eher ideologiefrei und scheint sich bei ihren politischen Positionen hauptsächlich auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen. Für die Bundestagswahl im Jahr 2002 sucht der CDU-Kreisverband Bad Kreuznach dann dringend eine Frau und wird bei Klöckner vorstellig. Bei der zweiten Anfrage sagte sie zu. Mit 29 Jahren wird sie zum ersten Mal in den Bundestag gewählt.

Die Abwehr der Zuckersteuer

Ihre Bilanz als Landwirtschaftsministerin ist durchzogen. Die Bewilligung für die betäubungslose Ferkelkastration hat sie noch einmal verlängert. Bauern dürfen weitere zwei Jahre lang Ferkeln ohne Betäubung die Hoden abschneiden. Dabei hatten die Landwirte schon fünf Jahre Zeit, um sich auf ein Verbot einzustellen. Auch als die Bauern im Hitzesommer nach staatlicher Hilfe riefen, kam ihnen Klöckner verständnisvoll entgegen. An einem staatlichen Tierwohl-Label laboriert ihr Ministerium schon seit Jahren herum, Anfang Februar präsentierte Klöckner immerhin mal Kriterien für die Schweinezucht.

Standhaftigkeit bewies Klöckner hingegen beim Thema Zucker. Einige deutsche Journalisten sind empört, dass Klöckner keine Zuckersteuer einführen will. Sie sehen darin ein serviles Verhalten gegenüber den deutschen Zuckerrübenbauern und darüber hinaus einen Fürsorgeskandal. Es gibt in Deutschland die Vorstellung, wonach der Staat die Bürger nicht nur vor Hunger, sondern auch vor Fettleibigkeit bewahren muss. Klöckner sieht den Verzicht auf eine Zuckersteuer als ein Zeichen von Liberalität. Der Staat sei keine Geschmacksgouvernante, erklärt sie. Hin und wieder benutzt sie ein Wort, das man in der Schweiz permanent und in Deutschland so gut wie gar nicht hört: Eigenverantwortung.

Die Tiefgründigkeit auf Instagram

Auf Instagram und Twitter präsentiert sich Klöckner als eine nahbare Politikerin und vielseitige Person: an der Fasnacht, in der Natur, im Abendkleid, mit wichtigen Menschen. Die «FAZ» hat ein Porträt über sie mal mit «Zwischen Glamour und Gelände» betitelt. Es ist genau dieser Effekt, den Klöckner erzielen will. Und das Bild ist gar nicht einmal falsch. Klöckner geht in Gummistiefeln und auf Stilettos. Bei alledem ist es ihr aber wichtig, auch Tiefgründigkeit zu demonstrieren. Im Januar veröffentlichte sie Bilder von einer Charity-Gala: Sie mit Bob Geldof, Ai Weiwei und Catherine Deneuve. Klöckner kommentierte: #Tiefgang #Nachdenken #klugeMenschen.

Am allerwenigsten möchte Klöckner als oberflächlich wahrgenommen werden. Nur, hier kommt ihr die eigene Kommunikationsstrategie in die Quere. Sie selbst ist eine Verpackungskünstlerin, ein Christo der Politik, der die Blicke weg von den Inhalten auf die Oberflächen und Gestalten, Bilder und Slogans lenkt. Dazu kommt, dass Klöckners grosse Stärke gerade nicht die tiefschürfende Analyse, sondern der Smalltalk, der strahlende Auftritt und ihre Leutseligkeit sind. Sie muss man nicht zu den Wählern schicken. Sie marschiert von alleine auf die Marktplätze.

Das «Lebensministerium»

Abgesehen davon versteht sie einiges von Marketing. Als Landwirtschaftsministerin hat sie vor allem an der Kommunikation gearbeitet. Ihr Ministerium nennt sie «Lebensministerium». Landwirtschaft ist bei ihr «Lebenswirtschaft». Es geht bei ihrem Ressort also um das grosse Ganze, die menschliche Existenz. Im Oktober hielt Klöckner eine Grundsatzrede. Sie hiess «Landwirtschaft im Bewusstseinswandel – von der Milchkanne zum Melkroboter». Sie sprach davon, dass es nun Mut brauche, um die «potemkinschen Streichelbauernhöfe in unseren Köpfen» zu vertreiben. Landwirtschaft sei heute Hightech. Am Schluss lud sie die Anwesenden ein: «Seien Sie komplex.»

Klöckner ist nicht angetreten, um die Landwirtschaft zu verändern. Sie möchte das Bewusstsein über die Landwirtschaft verändern, ihr ein neues Image geben. «Die Bauern sind nicht nur die mit den Kartoffeln», sagt sie. «Sie sind modern und international vernetzt.» Sie spricht von digitalisierten Kuhställen, Precision-Farming und Robotern, die Schnecken sammeln. Es klingt ein bisschen nach Science-Fiction. Damit am Ende keine Zukunftsängste entstehen, fügt Klöckner hinzu: «Aber Tier und Mensch bleiben analog.»

Ihr Ministerium nennt sie «hip». Dazu hat sie schmissige Sätze wie: «5G gehört an jede Milchkanne, nur ist die Milchkanne heute ein Melkroboter.» Das sind Sprüche, wie sie natürlich viele Politiker benutzen. Man lebt in dieser Branche nun mal von und in den eigenen Zitaten. Klöckner treibt das Phrasenhafte nur über das gewöhnliche Mass hinaus auf die Spitze, es scheint ihr Sicherheit zu geben.

Die trumpartige Medienarbeit

Auf Kritik reagiert Klöckner mitunter gereizt. Ihre Medienarbeit nimmt dann leicht trumpartige Züge an. Journalisten gibt sie via Twitter Feedbacks zu Artikeln, Politikerkollegen weist sie zurecht. «Och, Marco, so platt kennen wir das doch nur von der AfD. Du weisst es doch besser!», kritisiert sie einen FDP-Politiker, der schreibt, sie opfere die Landwirtschaft für Wählerstimmen. Man könnte solche Kommentare auch leicht stehen lassen, zumal als Ministerin. Aber Klöckner unternimmt alles, um ihr Image zu kontrollieren. In einem anderen Tweet klingt es so: «Das ist jetzt unter Ihrem intellektuellen Leistungsvermögen, lieber Hr Lauer!» Oder: «Lieber Herr Restle, gerade weil Sie für die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten, haben Sie eine besondere Verantwortung für Ausgewogenheit (. . .) Sie machen bewusst Stimmung durch Selektion. Schade.» Zu ihren liebsten Vorwürfen gehören: Populismus, tiefes Niveau, AfD-Niveau.

In Bonn äussert sich Klöckner auch zum Zustand des Journalismus. «Die Berichterstattung wird immer schneller, lauter und oberflächlicher, und um die Tiefe geht es kaum mehr.» Tiefen- und Oberflächenstruktur – vielleicht ist es unbewusst so etwas wie Klöckners Lebensthema. Die Substanz, die sie bei anderen bemängelt, ist bei ihr selbst hinter all den Spruchfassaden aber auch nicht so leicht zu finden.

Nguồn: NZZ

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